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BAG - 21.02.2017 - 3 AZR 297/15 - Hinterbliebenen­versorgung - Angemessenheits­kontrolle

Eine in Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthaltene Klausel, mit der nur der „jetzigen“ Ehefrau des Arbeitnehmers eine Hinterbliebenenversorgung zugesagt ist, benachteiligt den Arbeitnehmer unangemessen.

Tuesday, 03 July 2018 | | | | Kommentieren !
Die Arbeitgeberin hat die Zusage lediglich auf die „jetzige“ und damit zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Zusage im Arbeitsverhältnis mit dem Kläger verheiratete Ehefrau beschränkt.
Die Arbeitgeberin hat die Zusage lediglich auf die „jetzige“ und damit zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Zusage im Arbeitsverhältnis mit dem Kläger verheiratete Ehefrau beschränkt.

Diese Einschränkung der Zusage ist daher nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam. Bei Versorgungszusagen, die vor dem 1. Januar 2002 erteilt wurden, führt dies dazu, dass lediglich dann, wenn die Ehe bereits während des Arbeitsverhältnisses bestand, Rechte geltend gemacht werden können.

1. Weicht der Verwender Allgemeiner Geschäftsbedingungen von der sich aus rechtlichen Vorgaben ergebenden Vertragstypik ab, unterliegt diese Abweichung einer uneingeschränkten Inhaltskontrolle nach dem Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen.

2. Sind Regelungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen unwirksam, ist eine ergänzende Vertragsauslegung ausnahmsweise jedenfalls dann möglich, wenn ein Festhalten am Vertrag auch für den Verwender eine unzumutbare Härte darstellt.

Der Kläger war von Februar 1974 bis Oktober 1986 bei einem Werftunternehmen bis zur Eröffnung des Konkursverfahrens über dessen Vermögen beschäftigt. Mit Wirkung ab dem 1. Juli 1983 erteilte die Arbeitgeberin dem Kläger eine Versorgungszusage. Deren Allgemeine Geschäftsbedingungen sehen vor, dass die „jetzige“ Ehefrau eine lebenslängliche Witwenrente erhalten soll, wenn die Ehe zwischenzeitlich nicht geschieden wird. Seit April 2006 ist der Kläger in zweiter Ehe verheiratet. Der Kläger nimmt den Pensions-Sicherungs-Verein als Träger der gesetzlichen Insolvenzsicherung auf Feststellung in Anspruch, dass der Ehefrau, mit der er zum Zeitpunkt seines Ablebens verheiratet ist, eine Witwenrente zusteht.

Der Dritte Senat des Bundesarbeitsgerichts hat die Klage - ebenso wie die Vorinstanzen - abgewiesen. Die Versorgungszusage bezog sich nur auf die Ehefrau, mit der der Kläger am 1. Juli 1983 verheiratet war. Diese Einschränkung ist jedoch nach dem Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen unangemessen und daher unwirksam, weil dafür keine berechtigten Gründe bestehen. Da zum Zeitpunkt der Erteilung der Versorgungszusage im Jahr 1983 aber eine AGB-Kontrolle gesetzlich noch nicht vorgesehen war, ist eine ergänzende Vertragsauslegung geboten, um die entstehende Lücke zu schließen. Die Witwenrente ist danach nur zu gewähren, wenn - anders als im Fall des Klägers - die Ehe bereits während des Arbeitsverhältnisses bestanden hat.

Pressemitteilung Bundesarbeitsgericht Urteil vom 21.02.2017 - 3 AZR 297/15

 

In des Entscheiduzngsgründen heißt es unter anderem:

(...)

II. Die Klage ist unbegründet. Der Beklagte ist nicht verpflichtet, der bei Eintritt des Nachversorgungsfalls mit dem Kläger verheirateten Ehefrau eine Hinterbliebenenversorgung zu gewähren. Nach dem Konkurs der Arbeitgeberin ist der Beklagte zwar nach § 7 Abs. 2 Satz 1 iVm. § 30f Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 BetrAVG für die Versorgungspflichten der ehemaligen Arbeitgeberin des Klägers eintrittspflichtig. Zum Zeitpunkt der Konkurseröffnung wies der damals 37-jährige Kläger, dessen Versorgungszusage vor dem 1. Januar 2001 erteilt wurde, eine mindestens 12-jährige Betriebszugehörigkeit auf und die Versorgungszusage bestand mindestens drei Jahre. Die geltend gemachte Verpflichtung des Beklagten folgt jedoch weder aus der Versorgungszusage noch aus dem Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz.

1. Mit der „jetzigen“ Ehefrau iSv. Nr. 4 der Versorgungszusage ist diejenige Ehefrau gemeint, mit der der Kläger am 1. Juli 1983 verheiratet war. Dies ergibt die Auslegung der Versorgungszusage nach den für Allgemeine Geschäftsbedingungen geltenden Maßstäben.

a) Die für Allgemeine Geschäftsbedingungen geltenden Maßstäbe sind zeitlich anwendbar und die Versorgungszusage enthält Allgemeine Geschäftsbedingungen.

aa) Die Geltung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen für Arbeitsverhältnisse ist gesetzlich erst seit dem 1. Januar 2002 vorgesehen. Zu diesem Zeitpunkt trat das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts vom 26. November 2001 (BGBl. I S. 3138) in Kraft (Art. 9 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzes). Damit wurde das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen auf Verträge auf dem Gebiet des Arbeitsrechts erstreckt (§ 310 Abs. 4 Satz 2 BGB; früher Bereichsausnahme nach § 23 Abs. 1 AGB-Gesetz). Nach Art. 229 § 5 Satz 2 EGBGB findet dieses Recht auf vorher begründete Dauerschuldverhältnisse, zu denen auch das Rechtsverhältnis eines mit einer unverfallbaren Anwartschaft aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschiedenen Arbeitnehmers zu seinem Arbeitgeber gehört, spätestens ab dem 1. Januar 2003 Anwendung. Obwohl die Versorgungszusage dem Kläger im Jahr 1983 und damit vor dem Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes erteilt wurde, unterfallen deren Regelungen dem Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen.

bb) Die Versorgungszusage enthält auch Allgemeine Geschäftsbedingungen iSv. § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB, die die Arbeitgeberin den Arbeitnehmern gestellt hat. Wie sich aus den Formulierungen in der Versorgungszusage ergibt, ist sie für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliert. So handelt es sich nach Nr. 7 der Versorgungszusage um eine „Neufassung“ der Versorgungsrichtlinien und um „neue“ Richtlinien; nach Nr. 11 der Versorgungszusage speichert der Gutachter die personenbezogenen Daten „der“ Anwärter und Anspruchsberechtigten. Vom Arbeitnehmer war lediglich das Datum einzusetzen und eine Unterschrift zu leisten. Dementsprechend sind die Parteien und das Landesarbeitsgericht zu Recht von der Anwendbarkeit des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen ausgegangen.

b) Die Versorgungszusage erfasst nur die Ehefrau, mit der der Kläger am 1. Juli 1983 verheiratet war.

aa) Allgemeine Geschäftsbedingungen sind nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden, wobei die Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen sind. Ausgangspunkt für die Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen ist zwar zunächst der Vertragswortlaut. Von Bedeutung für das Auslegungsergebnis ist jedoch auch der von den Vertragsparteien verfolgte typische und von redlichen Geschäftspartnern angestrebte Regelungszweck sowie die der jeweils anderen Seite erkennbare Interessenlage der Beteiligten (BAG 18. September 2012 - 3 AZR 415/10 - Rn. 24, BAGE 143, 90). Die Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen obliegt auch dem Senat als Revisionsgericht (vgl. nur BAG 21. April 2016 - 8 AZR 474/14 - Rn. 22).

bb) Danach erfasst die Formulierung „jetzige“ Ehefrau nur diejenige Ehefrau, die zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Versorgungszusage im bestehenden Arbeitsverhältnis, hier also am 1. Juli 1983, mit dem Arbeitnehmer verheiratet war.

(1) Unter „jetzig“ wird nach allgemeiner Sprachbedeutung „(vom Sprecher aus gesehen) zum augenblicklichen, gegenwärtigen Zeitpunkt existierend, bestehend o.Ä.“ verstanden (Duden Das große Wörterbuch der deutschen Sprache 3. Aufl. Stichwort: „jetzig“). Der Begriff meint „augenblicklich, heute, derzeitig, gegenwärtig“ (Wahrig Deutsches Wörterbuch 9. Aufl. Stichwort: „jetzig“). Synonyme sind „aktuell, augenblicklich, derzeitig, gegenwärtig, heutig, laufend, momentan, nun, zur Stunde, zurzeit“ (Duden Das Synonymwörterbuch 5. Aufl. Stichwort: „jetzig“). Der Begriff knüpft damit an einen zeitnahen, aktuellen Zeitpunkt an; nicht jedoch an einen in ferner Zukunft liegenden. In diesem Sinne ist aktuell, was zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Versorgungszusage am 1. Juli 1983 im Arbeitsverhältnis gilt.

(2) Für dieses Verständnis spricht auch die Einschränkung des Versorgungsversprechens, wonach die Ehe vor dem Ableben des Versorgungsberechtigten nicht geschieden sein darf. Diese Formulierung hätte keine Bedeutung, wenn auf den Zeitpunkt des Todes des Arbeitnehmers abzustellen wäre.

(3) Nachdem in der Versorgungsordnung eine abstrakte Formulierung gewählt wurde, kommt es auch nicht darauf an, dass der Name der zu diesem Zeitpunkt mit dem Kläger verheirateten Ehefrau nicht ausdrücklich genannt ist.

cc) Etwas anderes folgt auch nicht aus der Unklarheitenregel in § 305c Abs. 2 BGB. Ihre Anwendung kommt erst in Betracht, wenn nach Ausschöpfung aller Auslegungsmethoden ein nicht behebbarer Zweifel verbleibt (BAG 8. Dezember 2015 - 3 AZR 433/14 - Rn. 23). Derartige Zweifel bestehen nicht.

2. Die Einschränkung der Versorgungszusage, nach der nur die „jetzige“, also die zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Zusage im Arbeitsverhältnis mit dem Kläger verheiratete Ehefrau, bei seinem Ableben eine Hinterbliebenenversorgung erhält, benachteiligt den Kläger entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen iSv. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB.

a) Das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen ist nach Art. 229 § 5 Satz 2 EGBGB zeitlich auf die Versorgungszusage anwendbar.

b) Die in der Versorgungszusage vorgenommene Begrenzung ist auf ihre Angemessenheit im Sinne dieser Vorschrift zu überprüfen. Dem steht § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB nicht entgegen.

aa) Nach § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB gilt § 307 Abs. 1 BGB nur für Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, durch die von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart werden. Rechtsvorschriften in diesem Sinne sind dabei nicht nur Gesetzesvorschriften im materiellen Sinn. Darüber hinaus sind ua. auch Klauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen kontrollfähig, die die sich aus der Natur des Vertrages ergebenden wesentlichen Rechte und Pflichten zum Nachteil des Vertragspartners einschränken. Dazu gehören auch die aus der Natur des jeweiligen Schuldverhältnisses zu entnehmenden Rechte und Pflichten. In vollem Umfang kontrollfähig sind Klauseln, die das Hauptleistungsversprechen modifizieren, einschränken oder aushöhlen (BGH 10. Dezember 2013 - X ZR 24/13 - Rn. 16 mwN). Abweichungen von der sich aus rechtlichen Vorgaben ergebenden Vertragstypik unterliegen einer uneingeschränkten Inhaltskontrolle.

Werden Leistungen der betrieblichen Altersversorgung zugesagt, sind damit Regelungen, die von den im Betriebsrentengesetz angelegten Formen der Risikoabdeckung abweichen, uneingeschränkt kontrollfähig. Keiner Inhaltskontrolle nach den §§ 305 ff. BGB unterliegt dagegen die Höhe der zugesagten Versorgung, da es insofern an rechtlichen Vorgaben fehlt (vgl. BAG 30. November 2010 - 3 AZR 798/08 - Rn. 23, BAGE 136, 222).

bb) Kennzeichnend für eine Hinterbliebenenversorgung iSd. § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG ist die Absicherung eines für den Todesfall bestehenden typisierten Versorgungsinteresses des Arbeitnehmers. Maßgebend für dieses Versorgungsinteresse ist, in welchem Näheverhältnis der Arbeitnehmer zu den abzusichernden Personen steht (vgl. BAG 18. November 2008 - 3 AZR 277/07 - Rn. 34; 8. Dezember 2015 - 3 AZR 141/14 - Rn. 32). Für die Zusage einer Hinterbliebenenversorgung ist damit vertragstypisch, dass sie eine bestimmte Kategorie von Personen, die in einem abgrenzbaren Näheverhältnis zum Versorgungsberechtigten steht, absichert. Sagt der Arbeitgeber für eine bestimmte Kategorie von Hinterbliebenen eine Hinterbliebenenversorgung zu, entspricht es der im Gesetz angelegten Vertragstypik, dass diejenigen Personen abgesichert werden, die in einem der Kategorie entsprechenden Näheverhältnis zum Arbeitnehmer stehen. Schränkt der Arbeitgeber den danach erfassten Personenkreis zulasten des Arbeitnehmers in einer Versorgungszusage weiter ein, unterliegt diese Einschränkung der Angemessenheitskontrolle nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB.

cc) Eine derartige Einschränkung ist vorliegend gegeben. Die Arbeitgeberin hat die Zusage lediglich auf die „jetzige“ und damit zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Zusage im Arbeitsverhältnis mit dem Kläger verheiratete Ehefrau beschränkt. Damit weicht sie von der die Hinterbliebenenversorgung für nicht geschiedene Ehefrauen kennzeichnenden Vertragstypik ab.

c) Diese Einschränkung benachteiligt den Kläger entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen.

aa) Unangemessen ist jede Benachteiligung eines rechtlich anerkannten Interesses des Arbeitnehmers, die nicht durch begründete und billigenswerte Interessen des Arbeitgebers gerechtfertigt oder durch gleichwertige Vorteile ausgeglichen wird. Bei einer danach erforderlichen wechselseitigen Berücksichtigung und Bewertung der rechtlich anzuerkennenden Interessen der Vertragsparteien ist ein genereller, typisierender, vom Einzelfall losgelöster Maßstab anzulegen (vgl. BAG 13. Dezember 2011 - 3 AZR 791/09 - Rn. 22).

bb) Danach liegt in der in Nr. 4 der Versorgungszusage enthaltenen Begrenzung auf die „jetzige“ Ehefrau eine unangemessene Benachteiligung.

(1) Der Arbeitnehmer hat ein rechtlich geschütztes Interesse, dass das sich aus dem Näheverhältnis zu der Ehefrau, mit der er bei seinem Ableben verheiratet ist, ergebende typisierte Versorgungsinteresse entsprechend der Zusage einer Hinterbliebenenversorgung für nicht geschiedene Ehefrauen abgesichert ist.

(2) Die Einschränkung der Hinterbliebenenversorgung auf die bei Wirksamwerden der Versorgungszusage mit dem Arbeitnehmer verheiratete Ehefrau, die nicht durch gleichwertige Vorteile ausgeglichen ist, ist nicht durch begründete und billigenswerte Interessen des Arbeitgebers gerechtfertigt.

Zwar hat der Arbeitgeber grundsätzlich ein berechtigtes Interesse, sein mit der Zusage einer Hinterbliebenenversorgung einhergehendes finanzielles Risiko zu begrenzen. Die in der Versorgungszusage enthaltene Einschränkung orientiert sich allerdings nicht an irgendwelchen Risikoerwägungen. Sie knüpft vielmehr an bloße Zufälligkeiten an. Grundlage der Versorgungszusage ist das Arbeitsverhältnis. Betriebliche Altersversorgung ist auch Entgelt der berechtigten Arbeitnehmer, das diese als Gegenleistung für die im Arbeitsverhältnis erbrachte Betriebszugehörigkeit erhalten (BAG 4. August 2015 - 3 AZR 137/13 - Rn. 69, BAGE 152, 164). Während des laufenden Arbeitsverhältnisses ist der Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Versorgungszusage deshalb ohne jede sachliche Bedeutung. Ob und mit wem der Arbeitnehmer bei Wirksamwerden der Versorgungszusage verheiratet ist, hängt von der persönlichen Lebensführung und den persönlichen Lebensumständen des Arbeitnehmers ab; im Fall einer Wiederheirat nach dem Tod der durch die Versorgungszusage abgesicherten Ehefrau auch von Schicksalsschlägen. Vom Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Versorgungszusage hängt auch nicht ab, wie hoch der Altersunterschied zwischen den Eheleuten und damit das Risiko einer längeren Zahlung der Witwenrente nach dem Ableben des Versorgungsberechtigten ist.

Der Gesichtspunkt, dass bei einer früheren Eheschließung der Ehegatte den Arbeitnehmer bei der Erfüllung der arbeitsvertraglichen Verpflichtungen länger unterstützt hat, begründet ebenfalls kein berechtigtes Interesse für die Einschränkung. Dieses Interesse stellt auf ausschließlich private Gesichtspunkte ab, die eine dem Interesse des Arbeitgebers dienende Regelung nicht rechtfertigen können (vgl. im Zusammenhang mit der Benachteiligung wegen des Alters BAG 4. August 2015 - 3 AZR 137/13 - Rn. 73 ff., BAGE 152, 164).

Die Klausel versagt dem Arbeitnehmer bei einer späteren Heirat letztlich den Schutz der Versorgungszusage, obwohl das zugrunde liegende Arbeitsverhältnis, in dem der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung erbringt, auch noch nach ihrem Wirksamwerden weiter besteht.

3. Der Verstoß gegen § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB hat zwar zur Folge, dass die Einschränkung der in Nr. 4 der Versorgungszusage versprochenen Hinterbliebenenversorgung auf die „jetzige“ Ehefrau unwirksam ist. Dies führt jedoch nicht dazu, dass der Ehefrau des Klägers, mit der er bei seinem Ableben verheiratet sein wird, eine Hinterbliebenenversorgung zu gewähren ist. Die durch die Streichung des Wortes „jetzige“ entstandene Lücke in der Versorgungszusage ist durch eine ergänzende Vertragsauslegung zu schließen. Danach besteht ein Anspruch auf eine Hinterbliebenenversorgung nur, wenn die Ehe bereits im Laufe des Arbeitsverhältnisses bestand.

a) Eine ergänzende Vertragsauslegung ist im vorliegenden Fall geboten.

aa) Sind Allgemeine Geschäftsbedingungen ganz oder teilweise unwirksam, bleibt der Vertrag im Übrigen wirksam (§ 306 Abs. 1 BGB) und sein Inhalt richtet sich insoweit nach den gesetzlichen Vorschriften (§ 306 Abs. 2 BGB). Eine geltungserhaltende Reduktion von Klauseln auf den zulässigen Inhalt durch die Gerichte findet grundsätzlich nicht statt (BAG 24. August 2016 - 5 AZR 703/15 - Rn. 25). Eine Klausel bleibt nur dann teilweise aufrechterhalten, wenn sie mehrere Regelungen enthält und der unzulässige Teil sprachlich eindeutig abgrenzbar ist. Verbleibt nach der Streichung der unwirksamen Teilregelung und des unwirksamen Klauselteils eine verständliche Regelung, bleibt diese bestehen - sog. blue-pencil-Test (vgl. BAG 21. April 2016 - 8 AZR 474/14 - Rn. 43 mwN). Eine ergänzende Vertragsauslegung ist jedoch ausnahmsweise jedenfalls dann möglich, wenn ein Festhalten am Vertrag auch für den Verwender eine unzumutbare Härte iSv. § 306 Abs. 3 BGB darstellt (vgl. zuletzt BAG 10. Mai 2016 - 9 AZR 434/15 - Rn. 37 f.).

bb) Eine solche unzumutbare Härte läge hier vor, würde in Nr. 4 der Versorgungszusage lediglich das Wort „jetzige“ vor „Ehefrau“ gestrichen.

Der Arbeitgeber wäre dann gänzlich unbeschränkt allen Risiken ausgesetzt, die bei einer späteren Eheschließung entstehen. Von der Hinterbliebenenversorgung wären auch solche Ehen erfasst, bei denen der Altersunterschied besonders groß ist, oder die erst lange Zeit nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses oder dem Eintritt des Versorgungsfalls beim versorgungsberechtigten Arbeitnehmer geschlossen wurden.

Die Belastung des Arbeitgebers mit einem solchen Risiko ist vorliegend deshalb unzumutbar, weil zum Zeitpunkt der Erteilung der Versorgungszusage im Juni 1983, also vor Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes am 1. Januar 2002, das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen auf Arbeitsverhältnisse noch nicht anwendbar und daher rechtlich keine Angemessenheitskontrolle vorgesehen war. Die Rechtslage war zum damaligen Zeitpunkt unklar. Das Bundesarbeitsgericht hatte zwar beiläufig angemerkt, eine Versorgungszusage, die die zweite Ehefrau von der Hinterbliebenenversorgung ausschließe, stelle „eine zum mindesten bedenklich erscheinende Einflussnahme“ auf den höchstpersönlichen Entschluss des Arbeitnehmers dar, nach dem Tod der ersten Ehefrau eine neue Ehe einzugehen (vgl. BAG 4. August 1955 - 2 AZR 212/54 - zu II der Gründe, BAGE 2, 101). Unmittelbare Rechtsfolgen hat es daraus jedoch nicht gezogen. Die Arbeitgeberin hat daher keine offensichtlich unwirksame Klausel vereinbart, was einer ergänzenden Vertragsauslegung entgegenstünde (vgl. zu diesem Gesichtspunkt BAG 13. Dezember 2011 - 3 AZR 791/09 - Rn. 37).

b) Die durch die Rechtsunwirksamkeit der vereinbarten Klausel entstehende planwidrige Unvollständigkeit der Versorgungszusage ist deshalb im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zu schließen. Sie ergibt, dass eine Hinterbliebenenversorgung nur geschuldet sein soll, wenn die Ehe bereits während des laufenden Arbeitsverhältnisses bestand.

aa) Ist eine vertragliche Regelung planwidrig unvollständig, tritt an die Stelle der lückenhaften Vertragsbestimmung diejenige Gestaltung, die die Parteien bei einer angemessenen Abwägung der beiderseitigen Interessen nach Treu und Glauben als redliche Vertragsparteien vereinbart hätten, wenn diesen die Lückenhaftigkeit des Vertrages bekannt gewesen wäre. Zunächst ist hierfür an den Vertrag selbst anzuknüpfen, denn die in ihm enthaltenen Regelungen und Wertungen und ihr Sinn und Zweck sind Ausgangspunkt der Vertragsergänzung. Soweit irgend möglich sind danach die Lücken im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung in der Weise auszufüllen, dass die Grundzüge des konkreten Vertrages „zu Ende gedacht“ werden. Geht es - wie hier - um vielfach verwendete Vertragsbedingungen, hat die ergänzende Auslegung nach einem objektiv-generalisierenden Maßstab zu erfolgen, der am selben Interesse der typischerweise beteiligten Verkehrskreise und nicht nur den konkret beteiligten Parteien ausgerichtet sein muss. Die Vertragsergänzung muss für den betroffenen Vertragstyp als allgemeine Lösung eines immer wiederkehrenden Interessengegensatzes angemessen sein. Lassen sich nach diesen Kriterien hinreichende Anhaltspunkte für einen typischen Parteiwillen nicht finden, etwa weil mehrere gleichwertige Möglichkeiten der Lückenschließung in Betracht kommen, scheidet eine ergänzende Vertragsauslegung aus (vgl. BAG 23. April 2013 - 3 AZR 512/11 - Rn. 34 f.). Die ergänzende Vertragsauslegung kann - ebenso wie die Auslegung der Versorgungszusage insgesamt - auch durch das Revisionsgericht vorgenommen werden.

bb) Danach ist eine ergänzende Vertragsauslegung dahingehend vorzunehmen, dass eine Hinterbliebenenversorgung nur an diejenige Ehefrau gezahlt werden soll, deren Ehe mit dem versorgungsberechtigten Arbeitnehmer bereits während des laufenden Arbeitsverhältnisses bestand. Nur eine solche Regelung trägt den typischerweise vorhandenen Interessen der Beteiligten ausreichend Rechnung. Mit der von ihr verwendeten Klausel wollte die Arbeitgeberin - für die Arbeitnehmer erkennbar - das von ihr zu tragende Risiko der Hinterbliebenenversorgung begrenzen. Sie bediente sich dabei eines Kriteriums, das einen Bezug zum Arbeitsverhältnis insofern herstellte, als die in die Hinterbliebenenversorgung einbezogene Fallgruppe immer Ehefrauen erfasste, mit denen die Ehe bereits während des Arbeitsverhältnisses bestand. Dieser in der konkreten Regelung zum Ausdruck kommende Gedanke ist bei der ergänzenden Vertragsauslegung heranzuziehen. Die Beschränkung der Hinterbliebenenversorgung auf Fälle, in denen die Ehe bereits während des Arbeitsverhältnisses bestand, ist die konsequente Ersetzung der unwirksamen Klausel.

c) Auf der Grundlage der so ergänzend ausgelegten Versorgungszusage ist der Beklagte als Träger der gesetzlichen Insolvenzsicherung nicht verpflichtet, die vom Kläger begehrte Hinterbliebenenversorgung zu gewähren. Die während des Arbeitsverhältnisses bestehende Ehe des Klägers mit G B wurde nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses geschieden. Damit gibt es keine Ehe des Klägers mehr, die die Voraussetzungen der ergänzend ausgelegten Versorgungszusage erfüllen könnte.

4. Dem Kläger steht auch kein Anspruch aus dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz wegen unerlaubter Benachteiligung wegen des Alters zu. Eine Versorgungsregelung, die - wie die hier durch ergänzende Vertragsauslegung gefundene - eine Hinterbliebenenversorgung davon abhängig macht, dass die Ehe, an die die Versorgung anknüpft, bereits während des Arbeitsverhältnisses bestand, verstößt nicht gegen das Verbot der unmittelbaren oder mittelbaren Benachteiligung wegen des Alters (§§ 1, 3 Abs. 1 und Abs. 2, § 7 Abs. 1 AGG; vgl. dazu BAG 15. Oktober 2013 - 3 AZR 653/11 - Rn. 32 ff.).

(...)


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Letzte Änderung am Tuesday, 07 March 2023 16:45
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Gerhard Ostfalk

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