Blog»Arbeitsrecht»BAG - 28.03.2017-2 AZR 551/16 - der Betriebsrat kann verlangen, einen störenden Mitarbeiter zu entlassen.

BAG - 28.03.2017-2 AZR 551/16 - der Betriebsrat kann verlangen, einen störenden Mitarbeiter zu entlassen.

Der Betriebsrat kann als Arbeitnehmervertreter nach § 104 BetrVG vom Arbeitgeber verlangen, einen „betriebsstörenden“ Mitarbeiter durch Versetzung oder Entlassung aus dem Betrieb zu entfernen. Ist einem Arbeitgeber auf Antrag des Betriebsrats in einem Verfahren nach § 104 Satz 2 BetrVG* rechtskräftig aufgegeben worden, einen Arbeitnehmer zu entlassen, liegt für eine ordentliche Kündigung dieses Arbeitnehmers ein dringendes betriebliches Erfordernis iSd. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG vor.

Thursday, 28 June 2018 | | | | Kommentieren !
§ 104 BetrVG begründet unter den in ihr vorgesehenen Voraussetzungen einen eigenen betriebsverfassungsrechtlichen Anspruch des Betriebsrats gegen den Arbeitgeber auf Entlassung oder Versetzung des Arbeitnehmers.
§ 104 BetrVG begründet unter den in ihr vorgesehenen Voraussetzungen einen eigenen betriebsverfassungsrechtlichen Anspruch des Betriebsrats gegen den Arbeitgeber auf Entlassung oder Versetzung des Arbeitnehmers.

Die Klägerin war bei dem beklagten Versicherungsunternehmen langjährig als Sachbearbeiterin beschäftigt. Ende April 2015 forderte der Betriebsrat die Beklagte auf, die Klägerin zu entlassen, hilfsweise sie zu versetzen. Zur Begründung verwies er auf Vorfälle, die sich zwischen der Klägerin und ihren Arbeitskollegen im Oktober 2014 und Januar 2015 ereignet haben. Die Beklagte kam dem Verlangen zunächst nicht nach. In dem daraufhin vom Betriebsrat eingeleiteten Beschlussverfahren gem. § 104 Satz 2 BetrVG gab das Arbeitsgericht der Beklagten antragsgemäß auf, die Klägerin „zu entlassen". Die Klägerin war in dem Beschlussverfahren nach § 83 Abs. 3 ArbGG angehört worden. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis der Klägerin außerordentlich, hilfsweise ordentlich zum 30. Juni 2016.

Dagegen hat sich die Klägerin mit der vorliegenden Klage gewandt. Sie hat gemeint, es liege weder ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB für die außerordentliche Kündigung vor noch sei die ordentliche Kündigung sozial gerechtfertigt iSd. § 1 Abs. 2 KSchG. Beide Vorinstanzen haben festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis zwar nicht durch die fristlose Kündigung aufgelöst worden ist, die gegen die ordentliche Kündigung gerichtete Klage wurde jedoch abgewiesen. Im Revisionsverfahren verfolgen die Parteien ihre ursprünglichen Anträge weiter.

Die Rechtsmittel beider Parteien blieben vor dem Bundesarbeitsgericht ohne Erfolg. Der Zweite Senat hat entschieden, dass aufgrund der - auch im Verhältnis zur Klägerin - rechtskräftigen Entscheidung des Arbeitsgerichts, wonach die Beklagte die Klägerin zu entlassen hatte, ein dringendes betriebliches Erfordernis iSd. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG für die ordentliche Kündigung gegeben war. Dagegen war der Beklagten durch den Beschluss nicht die fristlose Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgegeben worden.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 28.03.017-2 AZR 551/16

* § 104 BetrVG lautet:
Hat ein Arbeitnehmer durch gesetzwidriges Verhalten oder durch grobe Verletzung der in § 75 Abs. 1 enthaltenen Grundsätze, insbesondere durch rassistische oder fremdenfeindliche Betätigungen, den Betriebsfrieden wiederholt ernstlich gestört, so kann der Betriebsrat vom Arbeitgeber die Entlassung oder Versetzung verlangen. Gibt das Arbeitsgericht einem Antrag des Betriebsrats statt, dem Arbeitgeber aufzugeben, die Entlassung oder Versetzung durchzuführen, und führt der Arbeitgeber die Entlassung oder Versetzung einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung zuwider nicht durch, so ist auf Antrag des Betriebsrats vom Arbeitsgericht zu erkennen, dass er zur Vornahme der Entlassung oder Versetzung durch Zwangsgeld anzuhalten sei. Das Höchstmaß des Zwangsgeldes beträgt für jeden Tag der Zuwiderhandlung 250 Euro.

 In den Entscheidungsgründen heißt es unter anderem

(...)

1. Die Anwendbarkeit von § 1 KSchG kann zugunsten der Klägerin unterstellt werden. Die Kündigung ist durch dringende betriebliche Erfordernisse iSd. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG bedingt. Aufgrund der materiellen Rechtskraftwirkung (§ 322 Abs. 1 ZPO) der Entscheidung des Arbeitsgerichts im Beschlussverfahren nach § 104 Satz 2 BetrVG steht zwischen den Parteien (§ 325 Abs. 1 ZPO) rechtskräftig fest, dass die Beklagte betriebsverfassungsrechtlich verpflichtet war, das Arbeitsverhältnis der Klägerin unter Wahrung der Kündigungsfristen zu beenden. Dies begründet ein dringendes betriebliches Erfordernis iSd. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG. Ob die Entscheidung des Arbeitsgerichts im Beschlussverfahren zu Recht ergangen ist, unterliegt nicht der Überprüfung durch den Senat.      

a) Dringende betriebliche Erfordernisse für eine Kündigung iSd. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG können sich aus innerbetrieblichen oder außerbetrieblichen Gründen ergeben (st. Rspr., vgl. BAG 18. Juli 2013 - 6 AZR 420/12 - Rn. 45; 24. Mai 2012 - 2 AZR 124/11 - Rn. 21). In beiden Konstellationen liegt der Kündigungsgrund in der Sphäre des Arbeitgebers, der entweder agiert, dh. eine Organisationsentscheidung trifft, oder auf eine bestimmte Situation reagiert (BAG 18. Juli 2013 - 6 AZR 420/12 - aaO).      

b) Eine solche Situation ist auch dann gegeben, wenn einem Entlassungsverlangen des Betriebsrats nach § 104 Satz 1 BetrVG in einem Beschlussverfahren gem. Satz 2 der Bestimmung rechtskräftig entsprochen wird. Der Arbeitgeber ist in diesem Fall betriebsverfassungsrechtlich und zur Vermeidung eines Zwangsgeldes für jeden Tag der Zuwiderhandlung (§ 104 Satz 2, 3 BetrVG) gezwungen, der Verpflichtung nachzukommen. Es handelt sich um einen Umstand, der ihm keine andere zumutbare Reaktionsmöglichkeit lässt. Obwohl die Organisationsentscheidung des Arbeitgebers insofern unmittelbar mit der Kündigung zusammenfällt, bedarf es keiner weiteren Darlegungen, um ein missbräuchliches Handeln auszuschließen. Aufgrund der gerichtlichen Entscheidung ist vielmehr das Beschäftigungsbedürfnis gerade für den konkreten Arbeitnehmer entfallen. Es liegt deshalb auch keine unzulässige Austauschkündigung vor. Die Verpflichtung zur Entlassung bedingt eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses des Arbeitnehmers. Steht dies auch zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer rechtskräftig fest, ist daher für eine Prüfung anderweitiger Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten im Kündigungsschutzrechtsstreit kein Raum. Einer Sozialauswahl gem. § 1 Abs. 3 KSchG bedarf es nicht, da es keine vergleichbaren, also alternativ von demselben Entlassungsverlangen betroffenen und damit in eine Sozialauswahl einzubeziehenden Arbeitnehmer gibt.      

aa) Dem steht nicht entgegen, dass nach der Senatsrechtsprechung das Verlangen des Betriebsrats gem. § 104 Satz 1 BetrVG keinen neuen Kündigungsgrund schafft, sondern einen solchen voraussetzt (BAG 15. Mai 1997 - 2 AZR 519/96 - zu II 1, 3 der Gründe). Gemeint sind damit die in § 104 Satz 1 BetrVG genannten Voraussetzungen für ein berechtigtes Entlassungsverlangen des Betriebsrats (ebenso Richardi/Thüsing BetrVG 15. Aufl. § 104 Rn. 16; aA Bachner in Däubler/Kittner/Klebe/Wedde BetrVG 15. Aufl. § 104 Rn. 8; KR/Etzel/Rinck 11. Aufl. § 104 BetrVG Rn. 19). Sind sie gegeben, würde dies ohne ein Verlangen des Betriebsrats in der Regel auch eine verhaltens- oder personenbedingte Kündigung iSd. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG rechtfertigen.      

bb) Allerdings stellt § 104 BetrVG hierauf nicht ab. Die Norm begründet vielmehr unter den in ihr vorgesehenen Voraussetzungen einen eigenen betriebsverfassungsrechtlichen Anspruch des Betriebsrats gegen den Arbeitgeber auf Entlassung oder Versetzung des Arbeitnehmers. Es kommt daher für die Berechtigung eines Verlangens des Betriebsrats auf Entlassung eines Arbeitnehmers nicht darauf an, ob im Falle der Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes eine Kündigung nach den Grundsätzen des § 1 Abs. 2 KSchG aus Gründen im Verhalten oder in der Person des Arbeitnehmers sozial gerechtfertigt bzw. ob im Falle der ordentlichen Unkündbarkeit des Arbeitnehmers ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB gegeben wäre (aA KR/Etzel/Rinck 11. Aufl. § 104 BetrVG Rn. 19). Die Bestimmung normiert vielmehr selbst abschließend die Voraussetzungen für ein berechtigtes Verlangen. Wird das Verlangen des Betriebsrats auf Entlassung eines Arbeitnehmers im Verfahren nach § 104 Satz 2 BetrVG als berechtigt anerkannt, begründet dies ein dringendes betriebliches Erfordernis iSd. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG. Ist der Arbeitnehmer ordentlich unkündbar, liegt in dem als berechtigt anerkannten Verlangen ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB für eine außerordentliche Kündigung mit - notwendiger - Auslauffrist.      

(1) Nach dem Wortlaut von § 104 Satz 1 BetrVG ist Voraussetzung für ein darauf bezogenes Verlangen des Betriebsrats ausschließlich, dass der betreffende Arbeitnehmer durch gesetzwidriges Verhalten oder durch grobe Verletzung der in § 75 Abs. 1 BetrVG enthaltenen Grundsätze, insbesondere durch rassistische oder fremdenfeindliche Betätigungen, den Betriebsfrieden wiederholt ernstlich gestört hat. Allein diese Voraussetzungen sind in einem Beschlussverfahren nach § 104 Satz 2 BetrVG zu prüfen. Es spielt nach dem Gesetzeswortlaut dagegen keine Rolle, ob der Arbeitnehmer den allgemeinen Kündigungsschutz nach § 1 KSchG genießt oder ob er ordentlich unkündbar ist oder nicht.      

(2) Systematisch spricht ein Vergleich mit § 103 Abs. 2 BetrVG ebenfalls dafür, dass es bei einem Verfahren nach § 104 BetrVG nicht darauf ankommt, ob nach allgemeinen Grundsätzen eine Kündigung gerechtfertigt wäre. In § 103 Abs. 2 Satz 1 BetrVG ist, anders als in § 104 BetrVG, ausdrücklich bestimmt, dass die „Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände gerechtfertigt“ sein muss. Der Unterschied erklärt sich daraus, dass § 103 Abs. 2 BetrVG eine Überprüfung des vom Arbeitgeber reklamierten Rechts zur (außerordentlichen) Kündigung verlangt, während § 104 BetrVG dem Betriebsrat einen eigenen Anspruch auf Entlassung oder Versetzung eines Arbeitnehmers unter in der Norm selbst formulierten Voraussetzungen gewährt.      

(3) Auch der Zweck der Regelung gebietet ein Verständnis, wonach der Betriebsrat eine Entlassung des Arbeitnehmers allein unter den Voraussetzungen von § 104 Satz 1 BetrVG soll verlangen können und ihm insofern ein eigener Anspruch - unabhängig von der individualrechtlichen Situation - eingeräumt ist. Nach - soweit ersichtlich - allgemeiner Auffassung stellt § 104 BetrVG eine Ergänzung von § 75 Abs. 1 und § 99 Abs. 2 Nr. 6 BetrVG dar (statt vieler GK/Raab 10. Aufl. § 104 BetrVG Rn. 2; APS/Linck 5. Aufl. BetrVG § 104 Rn. 2; KR/Etzel/Rinck 11. Aufl. § 104 BetrVG Rn. 4). Es handelt sich demnach um einen eigenständigen, betriebsverfassungsrechtlichen Anspruch unter den in der Bestimmung genannten Voraussetzungen, ohne dass es auf das Maß des individuellen Kündigungsschutzes des betroffenen Arbeitnehmers ankäme.      

cc) Zu den im Verfahren nach § 104 Satz 2 BetrVG zu prüfenden Voraussetzungen, ob das Verlangen des Betriebsrats iSd. § 104 Satz 1 BetrVG berechtigt ist, gehört indes seine Verhältnismäßigkeit (ebenso Fitting BetrVG 28. Aufl. § 104 Rn. 9; GK/Raab 10. Aufl. § 104 BetrVG Rn. 11; KR/Etzel/Rinck 11. Aufl. § 104 BetrVG Rn. 28; wohl auch Richardi/Thüsing BetrVG 15. Aufl. § 104 Rn. 15). Dies ergibt sich wiederum aus der Bestimmung selbst. Wie die danach erforderlichen Anspruchsvoraussetzungen erkennen lassen, ist dem Betriebsrat der betriebsverfassungsrechtliche „Entfernungsanspruch“ im Interesse der Wiederherstellung des Betriebsfriedens eingeräumt. Der Betriebsrat hat daher nicht die - freie oder auch nur in sein Ermessen gestellte - Wahl, ob er die Entlassung oder - nur - eine (betriebsinterne oder -übergreifende) Versetzung des Arbeitnehmers verlangt. Genügt vielmehr zur Wiederherstellung des Betriebsfriedens bereits eine Versetzung des Arbeitnehmers, kann der Betriebsrat mit rechtlichem Erfolg nur eine solche verlangen und ggf. gerichtlich durchsetzen.       

c) Die Verpflichtung der Beklagten, die Klägerin zu entlassen, stand im Streitfall auch im Verhältnis zwischen ihr und der Beklagten rechtskräftig fest. Das Arbeitsgericht hatte die Klägerin in dem Verfahren nach § 104 Satz 2 BetrVG zu Recht gem. § 83 Abs. 3 ArbGG beteiligt.       

aa) Nach § 83 Abs. 3 ArbGG ist in einem Beschlussverfahren zu hören, wer ua. nach dem Betriebsverfassungsgesetz „im einzelnen Fall beteiligt“ ist. Dies verlangt eine unmittelbare Betroffenheit in einer eigenen betriebsverfassungsrechtlichen Position (st. Rspr. zuletzt BAG 23. November 2016 - 7 ABR 13/15 - Rn. 10; 18. November 2014 - 1 ABR 21/13 - Rn. 12, BAGE 150, 74).      

bb) Von einem Verfahren nach § 104 Satz 2 BetrVG ist in diesem Sinne auch der Arbeitnehmer betroffen, dessen Entlassung oder Versetzung vom Betriebsrat verlangt wird (für eine Beteiligung des Arbeitnehmers im Beschlussverfahren nach § 66 Abs. 4 Satz 2 BetrVG 1952 auch Sahmer BetrVG Stand September 1967 § 66 Rn. 20). Er ist Objekt eines besonderen Anspruchs des Betriebsrats, aufgrund dessen es zu seiner Versetzung oder Entfernung aus dem Betrieb kommen kann. Dadurch ist der Arbeitnehmer als Betriebsangehöriger selbst in einer betriebsverfassungsrechtlichen Position betroffen (aA GK/Raab 10. Aufl. § 104 BetrVG Rn. 18). Das Verfahren nach § 104 Satz 2 BetrVG betrifft dagegen nicht unmittelbar seine individualrechtliche Rechtsstellung, wie ein Verfahren nach § 103 Abs. 2 und 3 BetrVG (vgl. dazu BAG 23. November 2016 - 7 ABR 13/15 - Rn. 15). Die Frage, ob individualrechtlich ein Kündigungsgrund gegeben wäre, ist - anders als im Verfahren nach § 103 Abs. 2 und 3 BetrVG - nicht Gegenstand des Beschlussverfahrens nach § 104 Satz 2 BetrVG. Es liegt daher auch kein systematischer Bruch darin, dass der Gesetzgeber in § 103 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 2 BetrVG ausdrücklich die Beteiligung des Betriebsratsmitglieds angeordnet, von einer entsprechenden Regelung zu dem von einem Entlassungsverlangen nach § 104 BetrVG betroffenen Arbeitnehmer hingegen abgesehen hat.       

(...)

 

 


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Letzte Änderung am Tuesday, 07 March 2023 16:43
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Gerhard Ostfalk

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